heimat





RBB, 23:08, 17. November 2005:
"Hitler mochte keine warmen Räume",
quotiert Hitlers Privatsekretärin im RBB, am 17.11.05  um 23:08,
die eigentlich Tänzerin werden wollte
("but I am a singer, lala" Bauhaus BBC Session)
und nun so vom Ruhm geleitet/ begleitet ist.
"Man müsste wie bei den Lippennegern",
"Daraufhin hat er schallend gelacht",
"ich konnte gar nicht nein sagen",
"mir hat es gefallen", ... sagt Hitler, sagt sie, sagt sie über den Krieg:
"das war keine Erholung für ihn",
"er wollte entspannen bei dem Mittagessen",
damit er sich von Stalingrad erholen konnte
... und irgendwie wundert sie sich immer noch über den Mann,
der die "großen Ideologien" hatte.
"Diese Verbindlichkeit, die er in seinem privaten Leben hatte.",
"seine Probleme waren rein Magen-Darm-Geschichten",
"und vielleicht war das auch der tiefere Grund für seine ...
            ... Politik?
wunderlich, wunderlich ...
                ... der furzende H.
"Er wollte sich zum Beispiel nie gern berühren lassen."
"Er war ein gepflegter Mann gewesen.
Er hat sich zum Beispiel immer die Hände gewaschen,
wenn er den Hund gestreichelt hat."
Hitlers Hund
"also das nur nebenbei"
"Sie konnte allerlei Kunststücke machen. Sie konnte bellen."
"Er war auch sehr stolz, dass sie ihm absolut gehorcht hat."
"Und dann hat er's vorgemacht, wie sie's macht."
            ... so ein süßer H.

Jahre später kratzt sie an ihrem Nagelbett (und raucht) und staunt über ihre Naivität.

"Das Wort Jude ist in der Umgangssprache nie vorgekommen."
"Die Frau Schirach ist nie wieder eingeladen worden auf den Berghof",
weil sie die "schlechte Behandlung" der Juden in Amsterdam angesprochen hat.
"Dinge, die irgendwie prekär oder schwierig waren",
schlussfolgert sie

... und daraus hat der Eichinger einen Film gemacht? D



Die Lust im Revuefilm:
Die Frau meiner Träume, D 1944
Mit Marika Röck

„Du hast eben kein Gefühl für Kunst.“, fernab der hektischen Stadt, im winterlichen Gebirge, der kleine trottelige Ingenieur Erwin zu seinem großen schönen und klaren Kollegen Peter.

Marika, hier, Revuestar Julia Küster, verlässt das Theater, weil sie die Nase voll hat vom oberflächlichen Revuetanz, auf der Flucht vor ihrem Direktor, in Unterwäsche, Strümpfen und Unterkleid: „Ach, geben Sie mir meinen Pelz.“ Es ist keine Zeit mehr, Verhandlungen ordentlich gekleidet zu führen, wenn es noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt des Zuges ist. Sie gehe sofort zu Bett im Schlafabteil. Nach einer verwirrenden Aktion, den Direktor abzuhängen, steht sie ohne Geld, Fahrkarte und ohne Gepäck im Pelz erst im Zug, dann im Gebirge in der Einöde, weil sie sich versehentlich am Bahnhof wähnte, denn es ist ja auch dunkel in der Nacht. Auf den Hütten bereiten die Ingenieure die Sprengungen, die Kultivierung der Natur zur planmäßigen Erschließung durch die Eisenbahn vor. Kulissengletscher explodieren, Julia schreit um Hilfe und liegt dann ohnmächtig im Eis. „Menschenskind, die ist aber hübsch.“ Und wird in die Hütte geschleppt: „Peter, sie hat unterm Pelz nichts an. Wir müssen sie ausziehen.“ …“dann müssen wir sie eben doch ausziehen!“ „Schämen Sie sich nicht, so etwas einer schutzlosen Frau anzutun?“ Die Herren wagte es, die Dame nicht zu entkleiden.
Die einzigen Nacktszenen in diesem Film spielen in einem rustikalen Badefass, sonst umspielen die Reize der Röck immer zarte halbdurchsichtige Gewänder oder zur Abwechslung, kräftige bunte Leinen („Sie tragen ja Tracht?!“).
„Ich habe gar kein Gepäck.“
„Und auch kein Kleid?“, Julia, gerade erwacht, in der Hütte mit Erwin und Peter.
„Außerdem verborge ich einer Frau mein Motorrad nicht!“, so einer ist Peter und: „Was soll man denken von einer Frau, die nachts Ausflüge macht?“ Und, gab es 1944 nicht schon längst Ausgangssperre?
Und dann müssen sich beide Herren eine Bettdecke teilen und dürfen sich nicht näher kommen.
Sie derweilen, schnappt sich Peters Sonntagsanzug und fährt in diesem mit Strümpfen, ihren Absatzschuhen und rotem Schal ohne Pelz auf dem Mofa Richtung Bahnhof. Verwegen, verwegen. Bei der ersten Erschütterung (wieder eine Explosion) fliegt sie durch die Luft, und kehrt dann reumütig zurück in ihre Herberge. Sie ist natürlich immer noch außerordentlich gut geschminkt und frisiert. „Die Person ist zurückgekommen.“
Morgens, der Dialog Julias mit der Hausangestellten:
“Wer sind Sie?“
„Ich bin der Besuch von Herrn …(Äh, krätz).“
„Ja, wo schläft er denn?“
„Drüben.“
„Ach!“

„Morgen, mein Kleines“. Der Haushälterin wird motiviert auf den Arsch gehauen. „Aber Herr Ingenieur!“

Der Direktor ist am Bahnhof angekommen und wartet auf seinen Star. Komisch, dass es als Gasthofstatisten noch wehrpflichtige Männer gibt: „Wollt ihr den totalen …?“
Die Lebensmittelknappheit bemisst sich an Tilsiter Käse („Der einzige Käse, den ich nicht esse“) und Erbsensuppe („Oh, ja.“).
Und dann singt die Röck in einem anderen Lokal mit Akkordeon im „alten Arbeitsanzug“ aufbauende Lieder:
„Schau nicht hin
schau nicht her
schau nur gerade aus!“ (Endsieg, yeah)
„und was danach kommt
mach dir nichts daraus!“
Walzer
„nehm es hin!
irgendwo hat jedes Ding
seinen Grund und seinen Sinn“ (da hörst Du es, deutsche Mutter!)
… und den ganzen Tag passierte nichts weiter als scherzen, lachen, essen, singen, tanzen, schunkeln, einem gescheiterten Projekt (die Dame zum Bahnhof zu fahren)
und etwas Champagner. Gute Nacht.
„Wo ist sie?“
„Sie ist im Badezimmer.“
„Was tut sie?“
„Sie zieht sich aus.“
Aus dem Vorhang macht sie sich ein Abendkleid. (Not macht erfinderisch)
„Wenn ich trinke, muss ich immer lachen.“, natürlich spielt sie nur, später spielt sie sittlich belästigt und heult. „Mein Vater war auch Ingenieur, es ist ein herrlicher Beruf“ und es klingt ganz orgasmisch.
Um Peter nun von ihrer einfachen Art zu überzeugen, mimt sie Hausfrau und beschließt nach erfolgreicher Anbändelung, ihren Beruf an den Nagel zu hängen.
In der letzten halben Stunde, ein wenig Showtanz:
„Die Frau meiner Träume“ spielt erst in einer Traumszene, dann in Asien (Marika tanzt Spitze), dann in Spanien (Marika tanzt Flamenco), dann in der Luxus, Arkadien und Alltagsabgeschiedenheit versprechenden Kulisse des ersten Traumbildes (Marika tanzt, nun nicht mehr aschenputtelhaft entfliehend, sondern ihm in die Arme fallend, Steptanz), Luftballons regnen vom Bühnenhimmel, Applaus braust auf, der echte Bräutigam lässt sich in der Pause in ihrer Garderobe einsperren, der Bühnenbräutigam wirbelt sie dem pastellfarbenen, Dur-getränkten, homophonen Crescendo entgegen. „Ich liebe Sie über alles!“, bestätigt sich unterm Regenschirm vor jubelnder Menge. Da wird der Lebensborn sich freuen.




Heimatland:
Die schönen Landschaft- und Tieraufnahmen, die der Teletext anpreist, man sieht einen Adler, den König der Lüfte, wie er mit einem anderen Raubvogel kämpft und im Augenblick des Sieges majestätisch auf ihm thront. Der Hans ist auf der Flucht, in der Hand ein Gewehr, im Jackett ein Stück Brot, er rast über die schneebedeckten Alpen Richtung Italien, weil er es im Steinbruch und im Gefängnis nicht mehr aushielt, er hat kein Lager für die Nacht, keine vernünftige Kleidung, keine Papiere. Die Gendarmerie jagt ihn, der Zuschauer hat kein Gefühl für Zeit und Raum; irgendwann müsste er erschöpfen. Noch wissen wir nicht, dass es seine letzte Anstrengung war. Sein treuer Freund, ein Hund, den er beim Erzrivalen Thomas, dem Förster, hinterlassen musste, spürt ihn zwei Mal auf. Diese Treue ist verhängnisvoll und doch ehrlich, denn wir denken uns, wenn der Hund ihn so liebt, kann er ein so schlechter Kerl nicht sein. „Der Hund ist mir ins Gewehr gesprungen.“ Thomas verletzt Hans tödlich. Der Hund trauert am Grab seit Tagen, bis ihn Helga wieder aufnimmt. Er sträubt sich bei seiner Errettung, aber er ist doch so ein guter Försterhund geworden. Der Film entscheidet sich für den Hund, nicht für Hans. Hans, der sich nicht wieder eingliedern ließ, Hans, der ins fahrende Gewerbe ging und zurückkehrt ins Dorf, ohne seinen neuen Freiheiten zu entsagen. Hans wildert, Hans schläft noch mit dem Mädchen, dass er eigentlich verlassen wollte für Helga, Hans ist zornig im Streit und ehrgeizig im Geschäft. Hans ist eigentlich anständig, nur beugt er sich den Regeln seines Heimatdorfes nicht. Das Schicksal der dorflichen Sitten kann sich nicht ändern, bloß weil Hans eine Chance verdiente. Das Revolutionärste dort ist für das Maifest einen Rummel stattfinden zu lassen, dass Helgas Schwester noch unverheiratet ist, und dass Apotheker und Trachtenvereinvorsitzender um ihre Gunst willen in verkehrten Aufmachungen erscheinen. „Ich werde veranlassen, dass man dich für den Vorsitz des Trachtenvereins nicht mehr wählt!“ – er erschien zum Feste in zivil. Hans beschützt seinen Hund und erschlägt ungünstigerweise einen blöden Aufwiegler. Der wiegelte, bis sich die Dorfgemeinschaft einig war, dass Hans ein schlechter Mensch sei. Nur Helga merkt es zu spät. Sie merkt es erst im Vergleich zu der stetigen einfachen aufrechten Liebe, der Gesetzestreue des Försters Thomas, der auch nicht anders kann, aber, ach, sie sind so ein schönes Paar und Hans verroht durch die Zucht. „Heimatland, Heimatland, dein gedenk ich immerdar (…), Heimatland, Heimatflur, fern bin ich und ganz allein, Könnt’ ich ein einz’ges Mal, einmal still bei dir geborgen sein.“ (Text von Hermann Hermecke) Das Grab ist eine stille Herberge. Noch wissen die Schulkinder, die das Lied singen nicht, wie vertrackt so eine Heimatsehnsucht sein kann, welche Früchte und welche Arbeit die Gemeinschaft birgt, um welchen Preis ihre Existenz sicherzustellen ist. Das Unbehagen umgeben von der Natur.



Englandreise März 2000
Vorspann
Kann man dieses Gefühl einfangen in ein Wort, einem Klang, ein Satzgefüge, eine Motivation, so wäre es wie ein Streben im Schreiben inne zu halten oder zumindest die Bewegung des Augenblicks zu verzögern. Dieses Gefühl lässt sich nicht einkleiden in Begriffe, wie Wind auf sonnengebräunte Haut oder Nackenkraulen. Herauszögern von Klarheit. So schmerzt es vielmehr, dass ich nicht weiss, sollte ich die Melancholie dehnen durch süße Sentimentalität oder abbauen durch sozialen Kontakt?
Verzögerung ist der springende Punkt. Aushalten im Bewusstsein: das liebende Herz ist doch allein, der Mensch ist einsam. Zur Abwechslung dieser Tatsache mal nicht entgegenwirken.
Ich scheiss auf Groß- und Kleinschreibung – mein desolates Denkvermögen  unterschreibt mit Hyroglyphen des Wahnsinns.
Der Mensch ist eigentlich nur eine Schnittblume aus dem Garten Eden. Der Wurzeln Menschheit beraubt aber tief im Kern schlummert die Erinnerung an kollektive Vitalität. Wird man gepflegt, begossen, besonnt, ergeht es einem gut, denn gute Hände lassen den Lebenstrieb aus Liebe um den Samariter aufflammen, doch man weiss um das sichere Ende. Man weiss um Ausdorren und Austrocknen, Schmerz- und Zeitunempfinden und als Kompost dient man dann der eigenen Art.

Im Flugzeug
Über den Wolken von Europa – heading towards Amsterdam. Der Himmel ist getrennt in blauen Horizont und weisse weiche Wolkenschicht. Sieht schmuck aus. Buzz-Airlines sind geil: lila/neongrün – Fast-Flight-Entertainment – das Boarding-Personal sehr freundlich und entgegenkommmend, die Stewardessen erwartungsgemäß zickig.
Dröhne mir nach einem Piccolo-Mumm nun eine entkoffeinierte Brühe rein, um einen Herzschlag zu vermeiden. Habe gehörig Druck auf den Ohren, danke aber Gott, nicht auf Schienen oder Straßen reisen zu müssen.
Die englischen Kompagnons scheinen sympathisch, ich freue mich auf Landschaft, Weiterreise and getting used to speaking English.

Im Bus
Habe mit meinen arbeitswütigen Mitstudenten gespalten und bestaune die englische Landschaft. Die Häuser sind kleine gerahmte Lordschaften, Landhäuser, winzige Bauernhäuschen. Da ich Ehrgeiz nicht gefressen habe, lasse ich die Arbeit auf mich zufahren. Ich kann das Spekulieren nicht ertragen; es ist zwar unser Projekt, wir sind aber nicht die Hauptakteure und müssen uns daher auf diese einstellen und ihre Wünsche berücksichtigen.
Hier grünt’s gewaltig, bloß die Auflockerung durch Blüten fehlt. Eigentlich alles recht deutsch anmutend, wären nicht die lustigen Häuser.

Im Zug
Zugfahrt Richtung Plymouth. Aus London heraus, habe bereits alles Geld verprasst. Gottlob aber auch nicht ständig gerechnet, alles zwischen zwei und drei Pfund Beträgen. London macht einen stilsicheren Eindruck. Ich hatte vergessen, wie hübsch alles aussieht. Überall sind Tulpen angereiht und Magnolien blühen. Haben in drei Stunden Gesamtaufenthalt Fish 'n Ships  gespeist und rätseln nun, ob in Dartington Palmen stehen, der Golf die Stadt liebkost, das alles in dunkler Vorahnung. Wir treffen sicher erst vor Mitternacht in unserem Domizil ein, ich werde mich dann sicherlich berauschen müssen. Ziemlich strange, mit dem Zug durch England.
Mit geschlossenen Augen denke ich an Jolantas Klo, an Ventspils und meine Lettlandreise und realisiere gar nicht, dass ich mich ja anderswo auf Reisen befinde. Ach, meine Seele hat es schwer, da Anschluss zu finden.
Es ist dunkel, es fröstelt. Man könnte die Augen schließen, sich in rhythmischem Rattern und gleichmäßigem Schaukeln verlieren, wird aber bald mit steifen Gliedern und mürbem Blick aus dem Dösen erwachen. Die Blase ist angespannt, weil sie sich nicht auf die Zugtoilette freut. Das Gehirn hat sich heute mit jedem Penny an den Konsum verkauft, da kommt nichts Erleuchtendes mehr raus.
Auf dem Klo scheint’s plötzlich rot gesprenkelt und das Gespenst pfeift melodisch aus dem Abflussrohr. Die Lampen im Zug erinnern an Fliegengitterschutzneonleuchten mit Messingverschnitt, anbei großzügige Glasflächen, grün, meeresfarben. Bin beeindruckt. Ausserdem recht gemütlich, wie in einer Boing aus den Siebzigern. Omas gucken mit müden Augen ins Leere, als bliebe der Blick auf einer unsichtbaren Stelle, die es zu durchbohren gilt . Der Rest schläft. Haarschopfe und Mützen luken über die Sesselebene – so bleibt das Private gewahrt, doch alle in der gleichen Situation. Müde ist der englische Frühjahrsabend. In den Scheiben spiegeln sich die orangenen Leuchtkäfer der Straßenlaternen. Drücke ich die Nase daran platt, sieht’s nicht anders aus, als die Brandenburgische Nachtlandschaft. Man traut immer der Erinnerung, die Erinnerung nimmt die Angst vor dem Ungewissen. Zu wissen, dass eingebildete Sicherheit die Angst nimmt. Doch wie absolut ist da die Situation? Wie viel Sicherheitsbedürfnis verlangt das Leben? Wie viel Erkenntnis das Neue? Ist es neu nur, weil meine Augen es erstmals sehen oder ist es nur die Art die Welt immer neu zu sehen? Man nehme sich den Mut, sein Vertrauen auf die Welt abzuschütteln.
Mit jedem Schluck englische Milch schleicht sich die Lese- Rechtschreibschwäche ein. Da bin ich in solcher Stimmung und weiss nicht so recht wohin, ich schreib’, um das Gefühl zu wahren. Seit in England niemand mehr öffentlich raucht, sind die Aschenbecher an den Lehnen mit Klebeband verklebt. Sieht aus wie Nikotingeruch – ist aber keiner.
„Wir tragen Blumen, wir tragen Herzen, wir wollen lachen, wir wollen scherzen, und manchmal weinen und traurig scheinen, so muss das sein, so wird das sein.“ (Grauzone) Und wenn ich die Arme empor strecke und mich besinne, fühle ich die Erde sich im Weltraum bewegen.
Wie kann man sich einen Tag lang schneller als seine Art bewegen?
Wer beglaubigt die Treue meiner Erfahrung? Warum wird der Ausspruch Fehler in der Matrix wieder aktuell? Das Wunder der Gesellschaftlichkeit.
Die Unfähigkeit der Artikulation. Bin ich auch alle, wenn ich nur beobachte? Und was bin ich, once I interfere? Durch a) Taten oder b) Worte? Welche Klarheit vermag die Schwingung des Herzens in die Trugschlüsse des menschlichen Umgangs zu bringen? What means >Exeter St. Davids< – 10:01 p.m.? Nomen est Omen? Ich bleibe hier, bis ich Jakob unter’m Sternenzelt bestaunt habe.
1.    These: Wir sind nicht in England – Englang existiert nicht – Wir fahren sicher nur im Kreis. Rewind.
BSE-Milch=BSR-Milch?
Wahnsinn trifft Müll?
Es gibt keine Besitztümer. Die Erinnerung ist vage und scheint unwillkürlich. Was macht der Mensch so einen Hehl aus materiellen und geistigen Gütern? Warum ist die Architektur von Ameisenhaufen nicht Kulturgut? Denk-Mal-Schutz. Wir bauen nicht archetypische genug und versuchen, die Plagiate ständig als eigenständig, wertvoll und genuin auszuweisen, um unsere eigene Armut an Würde zu verbergen. Es gibt nichts, was nicht ist, man kann es nur billig reproduzieren. Veredele doch! Ist der Erdenball so klein wie ein Sandkorn am Strand. Die Entfernungen des Herzens bleiben trotz Raumfahrt unüberwindbar.


Auf dem Campus
What we see in a city
What a city is
What we see on a map
What is actually there

Die Redundanz des eigenen Vertrauens:
Werd’ ich im Rausch das Bewusstsein wiederfinden, so wie man den Bauch oder das Kinn vorschiebt? … braucht man das eigene Ich nicht vergleichen, nur das Spiegelbild, was als Vertrautes herhält, bis man sich ändert. Der Mensch das Schicksal des Menschen?
Nervosität. Da fasst man sich an den Kopf, weil die Gedanken so schwer sind. Es passiert ja nichts. Das ist wie immer nur schwarz tragen. So sitzen wir in der Stadt und träumen vom Lande, und sitzen auf dem Lande und träumen vom Essen.
-Antennenstädte
-Hölle, Hölle, Hölle
-Beatle in a Bottle
-Käfersex in Tetrapacks
-Quickies in Cities
-Lonesome Berolina



Im Zug
Osterlämmer in zartem Aprikot
Terracottabrache
Black doves
Kakaukühe
Eiben
Nadelbaumtradition
Unterernährte Rinder mit Kuschelgesicht
Mäanderbächlein
Buschwerkuferbefestigung
Sumpfmulden Steppenbüschel
Efeu kriecht über den Boden
NKS Toilet Platform >Newton Abbot<
Rote Krawatten passende Strümpfe
Businesslook graumelierte Fönwelle
Take off
Die Ente schwimmt hinüber zur Trabrennbahn
Dartmoor Schlammkur
Möwchen schnäbeln sich durch die graue Brühe
Teatime auf Inselchen
Wasseraderzeichensprache unserer Ahnen
Segelschiffe liegen wie Matchbox
Müssen vor der Saison noch gewaschen werden
Und plötzlich
Wie aus dem Nichts die Aufklärung:
Kein Moor
Ein Meer
Rotbraune Kleckerburgfelsen mit grünen Perücken
Und Weite Horizont Freiheit
Wellen
Und wieder Watt Lämmer Rehe Fasane Büschel Hügel Bauminseln
Verdorrter Strauch frisches Grün saftige Wiesen
Mulden Pfützen Möwen in schwarz grau gräulich weiss gescheckt
Da leuchten Schwäne wie Muscheln auf Sandbänken
Oh, ich will wieder zurückfahren zum Meer!
Industrieanlagen Telefonmaste sind ja nicht so spannend
Aber nun schielt auch die Sonne hervor auf Krähen die Andacht halten
Der Heilige David >Exeter St. Davids< steht auf gutem Fuß mit Petrus
Hier büße ich wohl meinen freien Platz ein?
Wenigstens ist der Himmel unendlich
Forstarbeiter hebeln Baumschlag mit Spielzeugkränen
Schwarzgesichtige Schäfchen tümmeln sich um Wurzelknochen
Wildgänse waschen ihre Füße im Flussbett
Hangkühe geben wohl die bessere Milch
Die Elektrizität ist auf dünne Holzpfähle gespannt
Purpuracker und wuschelige Kaltblüter im Doppelpack
Muster legen sich über die Hügel oben schwarz weiss gefleckt unten kräuselige Wolltiere dazwischen Unwegsamkeit
Wind und Wasser
Und Häuschen deren Dächer sich zu Boden neigen Narzissenfelder zarte Frauenhände streicheln Blütenkelche
Auch der Apfelbaum in weisser Blütenpracht

Die Fußkälte drückt auf meinen Augapfel

Im Expresszug
Was für ein Akt. In London angekommen, versuchten wir erst die preiswerte Variante, mit dem Bus nach Stensted zu fahren, da das Ticket bereits gelöst war. Völlig verschwitzt landeten wir in Viktoria Coach nach hektischem Fußmarsch, um uns informieren zu lassen, dass der Bus gerade verpasst war. Alle pissed, also wieder in die U-Bahn, still pissed. Ich freute recht bald, alle Londoner anzustarren und auf Stil zu analysieren. Nun, finally, sitzen wir für weitere acht Pfund im Zug und ich will nicht darüber nachdenken.
Bald verlassen wir das schöne Land und ich bin auch müde.

Nachspann
Ist mir egal – sprach es
Na und, ich hab’ meinen Spaß – sprach es
Verzückt Berauscht Dauerzustand – sprach es
Die Städte sind unsichtbar Die Städte finden wir nicht wieder – sprach es
Fürchte dich nicht – sprach es
Es ist mir egal wie ich da hinkomme – sprach es

Fremd unverständlich langweilig langatmig und gewöhnlich armselig eindimensional zielstrebig provokant naturlos Plattenbau Mantel Fliegenbeine Beharrlichkeit Dunst Schwüle bekleidet bunt geflochten gesteckt besessen wissend ahnend ertragen schauen erwarten spekulieren klieren ausdauern




2006:
Zu viel Zeit zur Selbstbeobachtung.
Macht nervös.
Der soziale Aufstieg meiner Generation geleistet durch unsere Eltern, beschert uns ein Verharren in der Rückschau/ in der Selbstbeschau. Die Gabe der distanzierten Beobachtung des eigenen Tuns wird zur Tat an sich, wird zur Praxis und verdrängt die äußere Bewegung. Innen ist es dann etwas unruhig und ungefestigt, aber gar nicht so weit davon, gewollt zu sein. Das sozusagen flüssige Außen wird nicht durch Handeln gebändigt, eher durch Abwarten. So geht es Einigen.
Die Intellektualität stellt sich die Frage der Zweckdienlichkeit. Ja, Schreiben macht Spaß, aber es strengt an und der Wert des Produktes wird schon während seiner Entstehung bezweifelt (wie die Praxis des Denkens selbst). Das Scheitern sitzt auf einem Thron und regiert die Unternehmungen. Das Zweifeln ist die Schere im Kopf am Papier der Positionen und Ideale. Die durch das eigene Handeln und das Gelenk der Schere ausgeführten Bewegungen machen nur kaputt, zerschneiden, wohin es auch geht, die Klingen finden nur zusammen, wenn der Widerstand durchschnitten ist. Was bleibt ist ein Haufen Schnipsel. Eine andere Form der Ordnung. Die Positionen werden nie wieder zusammenfinden, aber sie kommen sich räumlich näher als irgendwann. Dann heißt es, den Kopf leerzufegen: Aktivität.
"Soll sie doch mal im Supermarkt arbeiten, da hat sie dann abends Kreuzschmerzen und ist zu müde zum Grübeln." Gut erkannt! Das Diktat der Ideale durch das Diktat der Arbeit ersetzen/ abstrakte Ausbeutung durch konkrete.
Auf der neuen Arbeit meiner Mutter soll neben Service, Office, Tresen, Besteck waschen und polieren, mittels eigener spezieller Putzmittel, bestimmte Putzflächen dementsprechend putzen, Kloreinigung, dem dreifachen Aufwand an Arbeitsabläufen für eine Handlung (yeah, yeah Effizenz!) und diversen anderen Schikanen, wie dem selbständigen Erwerb der Dienstkleidung, auch Euphorie und Einsatz gefragt sein, die Servietten mit nach Hause zu nehmen, um sie dort zu waschen, zu bügeln und zu falten (Origami). Das Besitzerpaar sitzt, häßlich wie die Nacht (wie man so schön sagt), am gut positionierten Tisch und verfolgt das Geschehen. Die Disziplin der Salzstreuer- und Aschenbechergarde soll sich möglichst aus dem absoluten Gehorsam der Angestellten ableiten. Hier gilt es, nicht freundlich zum Gast zu sein, sondern vorerst zum Köter des Chefs: "Das ist Prinz.", lautet die Begrüßung beim Einstellungsgespräch; der Besitzer verzichtet auf eigene namentliche Vorstellung.
Viertel Stunde Privatfernsehen: Kinder im Müll. "Das ist unser Sozialstaat. Ich will Dich ja nicht beleidigen, aber wir hatten gar keine Zeit zum Psychologen zu gehen."
"Man sollte sie alle (Kinder im Müll, nein, unsere Jammerlappengeneration) in eine Kiste stecke und raufhauen!" Nein, nicht um anschließend Gas einzufüllen oder Ähnliches, nur um eine neue Erfahrung zu ermöglichen. Ich beschließe, weder Aktionismus, noch Ehrgeiz zu entwickeln, so lange ich noch Zeit habe und frage mich, ob meine stets wiederholte Erklärung, anders leben zu wollen, zumindest versuchsweise, nicht die einzige Sicherheit ist, in meinem anderen Leben nicht das schlechte Gewissen zu pflegen, das mir mein herkömmliches Leben als Geschenk mit auf den Weg gab.
Über allem der Appell, mich mit dem zu identifizieren, was ich tue, daraus generiere sich dann auch die richtige Einstellung zum Sein.
Ich habe eine ganze Kiste Etiketten im Schrank, die ich in Fällen öffentlich-sozialer Kommunikation hervorkrame und passend zum Diskurs kombiniere. Damit wird vergangenes oder gegenwärtiges Tun benannt, erkannt und vermittelt.  Ich solle an meiner Vermarktung arbeiten, gab mir meine ehemalige, ganz in grün, passend zur Augenfarbe gekleidete, Marketing lehrende Professorin gestern mit auf den Weg. Es reiche nicht, nur privat auf berufliches Schaffen zu verweisen (ich entblödete mich, eine handgeschriebene Notiz weiterzureichen). Will ich das? Und betätige die Schere, Verbundenes zu trennen. Irgendwann später wird mich mein künstlerischer Impuls dann dazu verleiten, das Klebeband einzusetzen, um das Ausgangsthesenpapier im Kopf wieder zusammenzuflicken. Denn daran lassen sich die Spuren der Arbeit wieder ablesen. Bin ich fähig, je einen Schnipsel wegzuwerfen oder seinen Verwandlungsprozess nicht zu kontrollieren? So lange ich noch Geld für Tesa habe, lässt sich das Alte wieder zusammenkleistern und als Erinnerung an seinen Ursprung (Ursprungsmythos, yeah) archivieren. Nicht, wie die hässliche Fratze etwas Guten und Schönen, sondern so, wie ein Journalist mal das Gesicht von Holly Hunter beschrieb: wie heruntergefallen, zerbrochen und zusammengeklebt. Es erinnere an das widerspruchslose Schöne, aber die Brüche darin blieben markant. Es gibt kein Leben ohne Widersprüche.



Meißener Dom, 16./ 17. April 2005
Biene solitaire.
Die Ängste wachsen mit dem Alter. Atemnot, Hecheln, Panik. Meine Körpermitte ist schon im Himmel. Die Giebelmonster tragen Gottes Welt und die Kirche speist die Armen und Gläubigen. Nie wieder kauft sich ein Reicher über den Lettner. Agathes Augen Mutters Lächeln mild, des süßen Knaben Worte an Jesus Brust, oh, was am Anfang war, das war Schatten und Licht, das war Liebe und Musik. Ich breite die Arme über dem Kirchenschiff aus und schwebe meinem Stolz gerecht. Mein Magen dreht auf den Kirchtürmen - die einzige Versuchung, Herr seiner Lage zu werden - reicht der Wind mir durch die Steine ins Gemüt.
Cranach d.Ä. - Maria, Dein Schoß geheiligt - die Frucht gilbt unterm Wert, Sandstein, Marmor bei Hitze bricht - ein Baum spricht mir zu, Wasser am Friedhof zu lassen, "Aha, das ist also euer Familiengrab", den roten Stein mochte der Führer so gern. "Ist an dem Ort mal was Schlimmes passiert?" "Vor der Kirche?" "Ja": "Da wurde mal Tausendirgendwas ein Fürst von den Slawen erschlagen." Eine Träne für den Fürsten durch den Baum.



Katalog zur siebten Kunstausstellung der DDR, 1973:
statt
Brigade
lese ich immer
Brigitte

Brigitte Otto Nagel
von Rolf Schubert, S. 152/ 153


das einzige obszöne Bild, S. 145
"Dietrich Kaufmann:
Die Nase. Aus dem Theaterzyklus"
Pferd versucht lebensgroße Nase zu besteigen.

© + produziert von Yvonne Chadde - muell entertainment